Engelke up de Muer

Der Name des Gedichtbandes ist Programm: "Engelke up de Muer" ist der Name des Wappens der Stadt Emden, die in Ostfriesland liegt. Der Autor dieses Bandes, Uwe Lammla, hat vor einigen Jahren seine große Liebe in Ostfriesland kennen gelernt, daher die Hommage des Dichters an eine Landschaft, die zu den urtümlichsten in Deutschland gehört, und auch eine Hommage an seine eigenwilligen Bewohner, die außerhalb Ostfrieslands gerne mal auf zugleich liebevolle und ironische Weise als etwas kauzig und rückständig belächelt werden.

Uwe Lammla, 1961 in Neustadt an der Orla in der damaligen DDR geboren, verließ 1984 aus politischen und sozialen Gründen ein Land, in dessen Zwangsregime für einen überzeugten Individualisten und Nonkonformisten kein Platz war. Die ersten dichterischen Gehversuche stammen noch aus seiner Zeit in der DDR, in der er sich auch mit einem seiner dichterischen Vorbilder, dem Poeten Rolf Schilling, anfreundete. Wie Schilling ist Lammla inhaltlich und stilistisch gerade auch den Vertretern der "Konservativen Revolution" verpflichtet, insbesondere Gottfried Benn, Stefan George und Ernst Jünger. Spürbar werden alle diese Einflüsse auch in "Engelke up de Muer": Die Sprache der vorliegenden Gedichte ist gehoben, anspruchsvoll, wohlklingend, rhythmisierend und reimend, stellenweise auch etwas ironisch und humorvoll augenzwinkernd, nie aber gleitet der Autor in eine platte Alltagssprache oder gar einen Gossenjargon ab. In diesen Gedichten porträtiert Lammla mit wachem Blick die ostfriesische Landschaft, ihre Tier- und Pflanzenwelt, und natürlich ihre Bewohner, ihre Traditionen und ihre Verwachsenheit in die deutsche Geschichte und auch in die nordische Mythen- und Sagenwelt. Der mythische Grund eines urtümlichen Heimatgefühls, das jeder Mensch empfindet, der in einer ganz spezifischen Landschaft und Tradition aufgewachsen ist und in ihr seine prägenden Jahre verbracht hat, leuchtet in allen Gedichten Lammlas durch, einem platten Verwertungsrationalismus und oder einem beliebigen "ubi bene, ibi patria" will Lammla nicht weichen, in diesen Gedichten ist der Mensch mit seiner Heimat verwachsen, lebt und wirkt in ihr wie in einem organischen Gehäuse, einem maßgeschneiderten Kleid, in das er mit den Jahren hineingewachsen ist. Lammla will am Beispiel Ostfrieslands die Augen des Lesers für seine eigene Heimat öffnen, ihm vorführen, dass er Teil eines Ganzen ist, das ihn schützt, birgt und nährt und den Sinn stiftet, ohne den der Mensch nicht leben kann: Das ist wahrhaftig kein geringes Ziel für einen schmalen Gedichtband, und man kann nach der Lektüre der Gedichte getrost sagen, dass Lammla dies mit Herz, Verstand und sprachlicher Könnerschaft tut. Wer immer diesen Band in die Hand nimmt und diese Gedichte liest, er wird dies – soweit er überhaupt ein Organ für die angeschlagene Thematik hat – mit Gewinn und Freude tun.

Dr. Klaus Gauger